Kurmainzer Amtsstadt Dieburg im Jahre 1508

Dem Wanderer, der von Westen her sich der Stadt nahte, bot sich jenes stattliche Bild, das wir heute noch auf alten Stadtansichten bewundern. Gerade vom Hügel bei der heutigen Kirche "St. Wolfgang" zeigte sich Dieburg mit seinen drei Vorstädten von der besten Seite und bot ein Bild der Kraft und Stärke. Mächtig empor ragte das kurfürstliche Schloss. Eine Zinnen gekrönte Mauer umgab die Stadt, die mit ihren runden und viereckigen Türmen das Aussehen einer großen Burg hatte. Neben den fünf Festungstürmen, den drei Stadttortürmen, den Schlosstürmen und den drei Pfortentürmen der Vorstädte erhoben sich die zwei Türme des Rathauses, die Türme der drei Kirchen und der Fachreiter einer Kapelle.

Der Eintritt in die Stadt war nur durch eines der wohl bewachten Tore möglich. Die beiden breiten Hauptstraßen und die engen Gassen waren noch ungepflastert. Steinhäuser hatten nur die Adeligen: Die "Groschlags", "Ulner" und "Fortmeister". Dagegen waren die Bürgerhäuser schlicht und einfach, meist mehrstöckig und mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Doch gab es schon stattliche Fachwerkhäuser, besonders an dem großen und geräumigen Marktplatz, auf dem auch das Rathaus stand.

Die von Kaiser Ludwig dem Bayern und Kaiser Maximilian verliehenen Jahrmärkte und auch die Wochenmärkte hatten für die Kaufleute und Handwerker große Bedeutung und förderten den Wohlstand. Die in den Zünften vereinigten Handwerker trafen sich bei ihren geselligen Zusammenkünften in den damals schon bestehenden Gasthäusern wie: "Zum Weißen Roß", "Zum Schwarzen Bär" oder in der "Krone". Der Umsatz von 183 600 Litern versteuerten Weins zeigt uns nicht nur die Beliebtheit des Rebensaftes, sondern auch den Wohlstand der Bürger.

Die Zahl der Einwohner war für die damalige Zeit sehr bedeutend. Der Städtische Haushalt wies Zahlen auf, die hinter Darmstadt keineswegs zurückstanden.

Wie alt ist die Dieburger Fastnacht?

Beginnen wir also mit der Dieburger Fastnacht als Brauchtum. Urkundlich können wir dabei bis zum Jahre 1508 zurückgehen. Die Dieburger singen deshalb: "Seit anno 1508 feiert Dieburg Fassenacht!"

Aus jenem Jahr existiert noch ein Eintrag in der Stadtrechnung über die Ausgaben zur Bewirtung von Gästen am "Eschtag" (Aschermittwoch). Hier haben die Bürgermeister getreulich aufgeschrieben, dass die Summe von dreieinhalb Pfund Heller, sechs Schilling und zwei Pfennig vertan wurde "...uff den Eschtag zu mittage und nachts." Doch dürften wir bei nachts nicht in heutigen Begriffen denken. Für unsere Vorfahren begann die Nacht mit dem Dunkelwerden, und das Sitzen beim Wein endete um 8 Uhr abends. Da läutete vom Rathausturm die Weinglocke und gab das Zeichen zum Feierabend, worauf die Gäste nach Hause gingen. Die Minnefelder, die Steinweger und die Altenstädter, die Bewohner der Vorstädte also, mussten sich beeilen, da bald ihre Stadttore geschlossen wurden.

Die Feier war meist "uff dem Hus", d.h. im Rathaus. Das Maß Wein kostete 10 und die bessere Qualität 11 Pfennig. Ob der Wein einheimisches Gewächs war oder von außerhalb bezogen wurde, ist nicht überliefert. Jedenfalls wurden damals auch in Dieburg noch Reben gepflanzt, wie es die Abgaben von eigenem Gewächs in der "Zentscheuer" und auch der Flurname "Am Wingertsberg" verraten.

Hieraus kann man entnehmen, die Fastnacht sei in Dieburg erstmals 1508 gefeiert worden. Dass dem nicht so ist, sagt uns der Zusatz in dieser Aufzeichnung "wie von alters her". Es handelt sich also offensichtlich um ein altes Brauchtum, dessen Ursprung schon viele Jahrzehnte zurück liegen kann. Darüber aber fehlen uns die Aufzeichnungen. Die Feier des Eschtages lässt darauf schließen, dass die vorausgegangenen Fastnachtstage ebenfalls gefeiert wurden. - Wie heißt es dazu in dem "Weltbuch"?

"Auf dies (Fastnacht) kumpt die fast. Den nechsten tag darnach zur eingang derselben laufft das Volck zur kirchen, wo jedem ein wenig Asche auf den Kopf gestreut wird. Auff diesen tag der aescherigen Mittwoch leyten sie die fasten ein mit grosser mummerey (Bestattung der Fastnacht), halten bancket und verkleyden sich in ein sunder manier. Etliche klagen uns souchen die fastnacht mit fackeln und latern bei hellem tag, schreien kläglich, wo die fastnacht hinkummen sei; etlich trage ein hering an einer stangen und sagen: Nimmer wirst, hering! mit vil seltzamer abenteuer, fassnachtspiel, gesang und reimen ... Halten auch yr vier eyn leylach (Leintuch) bey den vier zipfeln und einen strohenen angemachten butzen in hosen und wammes mit einer larven wie einen toten Mann, schwingen sie ihn mit den vier Zipfeln auf in die Höhe und empfangen ihn wieder in das leylach. Das treiben sie durch die ganze stadt."

So war denn der Aschermittwoch der Tag, an dem die Fastnacht begraben wurde. Auch dieses geschieht heute noch, wenn auch nicht in der Form von damals. Der Aschermittwoch ist ein Arbeitstag, jedoch soll der Hering bei manchem auch heute noch die gleiche Rolle spielen wie zur Zeit des ausgehenden Mittelalters.

Wie man die Fastnachtstage damals in Dieburg beging, ist nicht überliefert. Doch wird sich der Karneval mit seinen Mummereien, Verkleidungen, Umzügen, Schmausereien und Tanzfreuden in den gleichen Bahnen bewegt haben, wie sie zeitgenössische Schriftsteller von anderen Städten berichten. Ursprünglich feierte man nur die Nacht vor dem Beginn der Fastenzeit. Bei der bekannten Passion, Feiern zu erweitern, dehnte das Volk diese Vorfeier allmählich auf mehrere Tage nach rückwärts, so dass zuletzt aus der einen Fastnacht drei Fastnachtstage wurden.

Von den alten germanischen Frühlingsfesten, worauf die Karnevalsfeiern zurückgeführt werden, ist nicht mehr viel erhalten. Man kann jedoch die bekannten "Alten" (Oalte) als Überbleibsel ansprechen. Sie sind für Dieburg typisch. Da werden die ältesten Klamotten hervorgeholt, um eine richtige "Oalt" dazustellen, die ursprünglich den scheidenden Winter versinnbildlichte, der mit dem jungen Frühling im Kampfe liegt.

Wir sind ja bescheiden. Wir könnten durchaus von einer 1000-Jahrfeier, ja sogar fast von einer 1900-Jahrfeier reden. Wenn nämlich die Römer in den Rheinstädten ihre fastnachtsähnlichen Frühlingsfeste feierten, warum sollten sie das nicht auch bei uns in dem römischen "Auderia" getan haben. Immerhin war doch unsere Stadt die einzige Großsiedlung im starkenburgischen Raum! Doch begnügen wir uns mit diesen 500 Jahren. Das ist eine respektable Zahl!

Die enge, sowohl die weltliche als auch die kirchliche Verbundenheit unserer Stadt mit Mainz, der Metropole des rheinischen Karnevals, mag eine der Ursachen sein, dass Dieburg zur Fassenacht eine so lebhafte Tätigkeit entfaltet. - 500 Jahre lang war Dieburg eine Kurmainzer Amtsstadt.

Auch im 17. und 18. Jahrhundert wird verschiedentlich von Fastnachtsbräuchen, wie Maskenbelustigung mit Tanz um den Marktbrunnen, berichtet.

In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, als am Rhein in der Fastnachtsmetropole Mainz die Ranzengarde und der MCV entstanden, waren auch in Dieburg Männer am Werk, das alte Brauchtum zu neuem Leben zu erwecken und ihm eine feste Organisation zu geben. Im "Wochenblatt für den Kreis Dieburg" wurde bereits im Jahre 1837 von einem Fastnachtszug berichtet.

1840 ergeht an die Bevölkerung die Aufforderung zur Teilnahme an der Fastnacht. Unter anderem aus folgendem Grunde: "Man erlaubt sich hierdurch ein schaulustiges Publikum auf die in diesem Jahr hier stattfindenden Carnevalsbelustigungen aufmerksam zu machen. Sonntag vor Fastnacht wird nachmittags der türkische Sultan mit seinem Hofstaat hier eintreffen und bis Abend in hiesiger Stadt verweilen. Dem hohen Gast zu Ehren wird an demselben Tag eine Strecke der Eisenbahn zum ersten Mal befahren werden."

Wir sehen, die hohe Politik musste schon 1840 beim Karneval herhalten. Es ist nicht von ungefähr, dass der türkische Sultan am Fastnachtssonntag Dieburg mit seinem Besuch beehrte. Er brauchte Freunde, die seinen wackelnden Thron stützten. Gönnen wir ihm die Freude, sie in Dieburg gefunden zu haben.

1899 bis 1902 waren Höhe- und Glanzpunkte der Dieburger Fastnacht unter Leitung des Karnevalvereins zu erleben. Auch in den folgenden Jahren ist noch, nach den Berichten unserer Heimatzeitung, Leben und Treiben auf der Straße und in den Lokalen, aber von glanzvoll durchgeführten Karnevalszügen lesen wir nichts mehr.

Erst nach dem ersten Weltkrieg lebte die Fassenacht wieder auf. 1926 wird ein Karnevalverein wieder erwähnt. 1928 belebte ein stattlicher Karnevalszug unter dem Motto: "Mer schmeiße die Kist!" die Straßen Dieburgs.

Nach 1939 mussten Prinz Karneval und der Karnevalverein Abschied nehmen. Es kam der Krieg und auch viele KVD-Mitglieder wurden eingezogen. Nicht allen war es vergönnt, in die Heimat zurück zu kehren. Am 25. März 1945 besetzten die Amerikaner unsere Stadt, lösten alle Vereine auf und machten eine Wiedergründung von der Genehmigung durch die Militärbehörde abhängig.

Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg

Eine jüngere Generation schloss sich schon 1946 unter der Leitung von Viktor Wick zu einem Carneval-Club (CC) zusammen und veranstaltete 1947 eine Kappenfahrt und 1948 einen Karnevalszug.

Erst nach der Währungsreform und nachdem sich das Leben wieder etwas normalisiert hatte, wurde der Karnevalverein im Vereinslokal Hornung (Zur Ludwigsbahn) auf dem Fuchsberg am 17. Oktober 1948 von Ernst Geisler wieder ins Leben gerufen. - Ab 1949 fand alljährlich wieder ein Karnevalsumzug statt.

Fest steht, dass die Tradition des Dieburger Karnevalvereins auf jeden Fall auf das Jahr 1838 zurückgeführt werden kann. - Daher hat sich der Karnevalverein Dieburg vor etlichen Jahren entschlossen, dieses Jahr als Gründungsdatum aufzunehmen. So nennt er sich:

"Karnevalverein Dieburg 1838 e.V."

Die 500-Jahr-Feier erfüllt uns mit berechtigtem Stolz, aber sie bedeutet gleichzeitig eine Verpflichtung, diese alte Dieburger Tradition hoch und in Ehren zu halten.

Der Beweis

Ist das nicht Beweis genug? - Seit anno "1508 feiert Dibborsch Fassenacht". Die Rechnung vom damaligen "Eschtag" ist uns ja erhalten. Also feierte man damals (und auch schon vorher) die Fastnacht. - Und da die Dieburger schon "von alters her" ihre Weitsichtigkeit bewiesen haben, wurde diese Fastnacht bereits auf die drei Tage vorher ausgedehnt.

Feierten die Stadtoberen den "Eschtag" ausgiebig im Rathaus, so gründete postum das "gemeine Volk" in diesem, unseren heutigen Jubiläumsjahr, die erste Fastnachtsgastwirtschaft:

"ZUM WEISSEN ROSS".

Und wie könnte dafür der Standort besser gewählt werden als den Stadtmittelpunkt - den Dalles! Auch unsere Nachfahren werden diesen Gleichklang der Planung mit unserem Fastnachtsbrunnen erkennen.