Medienbericht: Nicht nur für Weck, Worscht und Woi

von Juri Loose

Neuer „Bagagewagen“ der Prinzengarde sorgt schon jetzt für Ungeduld auf die Zeit nach Corona

Erschienen im Dieburger Anzeiger am 9. Januar 2021 | geschrieben von Michael Just

Dieburg – Eigentlich würde die Fastnacht jetzt in die heiße Phase gehen. Doch statt rauschender Sitzungen und Vorfreude auf den Umzug bleiben momentan nur Erinnerungen und die Zuversicht, dass spätestens ab dem 11.11. wieder normale Umstände herrschen. Gut gerüstet für den Re-Start zeigt sich allen voran die Prinzengarde: Ihr neuer „Bagagewagen“ sorgt schon jetzt bei den blau-weißen Uniformträgern für Ungeduld auf die Zeit nach Corona.

Kaum jemand bekam im Verlauf des letzten Jahres mit, dass über viele Monate fleißige Hände im KVD-Zeughaus zugange waren. Seit dem Frühjahr 2020 werkelte ein engagierter Trupp von rund einem Dutzend Mann in regelmäßigen Abständen an einem Gefährt, das zwar wie ein Planwagen aussieht, aber den Namen „Bagagewagen“ trägt. Doch was ist das überhaupt? Für alle Nicht-Fastnachter sei erläutert, dass der Ausdruck aus dem Französischen kommt und „Bagage“ so viel wie Gepäck oder Rüstzeug bedeutet. Die Prinzengarde beschreibt damit all‘ jenes, was sie für den großen Fastnachtsumzug verstauen muss. „Dazu zählen vor allem ausreichend Weck, Wurst und Wein, aber auch Regencapes, die unsere Uniformen bei Regen schützen“, erzählt der zweite Vorsitzender Till Neumann.

„Beim Auseinanderbauen haben wir schnell gemerkt, dass die meisten Teile so marode sind, dass ein bisschen Kosmetik kaum Sinn hat“, stellt Claus Stüber fest. Bei rund 70 bis 80 Aktiven weiblichen und männlichen Geschlechts versteht sich von selbst, dass dafür kein Bollerwagen ausreicht. Im Gegenteil: Das Fuhrwerk ist so konstruiert, dass es von zwei Pferdestärken gezogen und von einem Kutschbock aus gelenkt werden kann. Dass es nun einen komplett neuen Bagagewagen gibt, war ursprünglich so nicht geplant. Vielmehr sollte eine gründliche Überholung des bisherigen Exemplars stattfinden.

„Das bot sich vor allem deshalb an, da 2020 die Gründung der Prinzengarde genau 70 Jahre her ist“, erläutert Claus Stüber. Doch aus den anvisierten Verschönerungsarbeiten wurde nichts. „Beim Auseinanderbauen haben wir schnell gemerkt, dass die meisten Teile so marode sind, dass ein bisschen Kosmetik kaum Sinn hat“, schickt Stüber hinterher. Nach der Zerlegung erhielt lediglich das Fahrgestell ein positives Urteil zur Wiederverwendung. Der komplette Aufbau musste in der Konsequenz neu erstellt werden. Für den Vorstand der Prinzengarde war es natürlich Ehrensache, dass damit keine Firma beauftragt wird, sondern Planung und Umsetzung in Eigenarbeit erfolgen.

Das gegründete Bauteam unter der Leitung von Leutnant Markus Enders I. fertigte zuerst Zeichnungen und Skizzen an. Professionelle Ratschläge für das Zusammenfügen der Holzteile wurden bei einem Lehrer eingeholt, der im Schreinerbereich der Landrat-Gruber-Schule unterrichtet. Das Internet bot weiteres Know-how, dazu trugen Freunde und Bekannte, die sich im Holzbau auskennen, nützliche Hinweise bei. Zum Kampagnenauftakt im November sollte alles fertig sein. Mit der Zeit wuchs allerdings nicht nur der Wagen, sondern auch das Fragezeichen, ob die Pandemie die Kampagne 2020/21 überhaupt zulässt. Als die Absage eintraf, war die Enttäuschung groß – aber auch jeglicher Zeitdruck weg. Die Arbeiten konnten nun noch akribischer als ohnehin schon vonstattengehen. „Insgesamt ist der Wagen höher, breiter, länger und ein bisschen schwerer geworden. Neu ist zudem eine kleine Seitentür“, hebt Bauleiter Markus Enders heraus, dessen Sohn Manuel ebenfalls mithalf. Damit brachten sich gleich zwei Familienmitglieder ein.

 

Ob sägen, bohren oder streichen: Die Gardisten bewiesen, dass sie nicht nur feiern können, sondern auch handwerklich begabt sind.

Der vollendete Bagagewagen verfügt sogar über eine Schippe. Hindernisse werden beim großen Fasnachtsumzug nicht geduldet.

 

Das Wageninnere besteht aus zahlreichen Verstrebungen und Verschraubungen. Zum Vorgängermodell wurden zusätzliche Beschläge an der Außenseite angebracht. Dass trotz konzentrierter Arbeit bei der Prinzengarde der Spaß nicht zu kurz kommt, versteht von selbst. So erarbeitete sich Claus Stüber mit „Ponal-Claus“ sogar einen „Ouname“ beziehungsweise Spitznamen. Der Bezeichnung liegt reichlich Respekt zugrunde, denn keiner agierte mit dem bekannten Holzleim sauberer als er. Rannen bei vielen Kollegen die Tropfen, im Fachjargon „Nasen“ genannt, herunter, klebte Stüber alles gekonnt und ohne Überreste auf Boden und Holz zusammen.

Beim Blick in das marode Innere des alten Gefährts kam natürlich die Frage auf, wie viele Jahre das gute Stück letztlich im Einsatz war. Darauf brachte auch die Nachfrage bei den ältesten Gardisten keine exakte Antwort hervor. Geschätzt werden rund 60 bis 70 Jahre. Stüber, der 2021 50 Jahre in Uniform ist, hat zumindest noch kein anderes Vehikel erlebt.

Bekannt ist aber, dass es sich um den Motorwagen einer früheren Dreschmaschine handelt, die sich einst im Besitz der Firma Pfeil befand. Über ein Transmissionsband wurde der Dreschvorgang eingeleitet. Irgendwann wurde das Relikt ausrangiert und zum Bagagewagen umfunktioniert. Aus der unbefriedigenden Tatsache, dass man weder etwas über das Jahr noch über die Namen der findigen Umgestalter weiß, hat der aktuelle Bautrupp gelernt. Dass so etwas in ferner Zukunft nicht mehr passiert, ließen sich die närrischen Handwerker einen besonderen Gag einfallen: Neben dem Anbringen eines Messingschilds mit der aktuellen Jahreszahl wurden tief im Inneren zwei versteckte Hohlräume geschaffen. Hinter den Klappen befinden sich lustige Fastnachtsfotos von allen beteiligten Helfern. Deren qualitativ sehr hochwertige Arbeit dürfte ohne Zweifel erneut 60 bis 70 Jahre halten.

Nicht vergessen wurde die Anhängerkupplung auf der Rückseite. An ihr wird die Kanone der Prinzengarde, liebevoll „Laut Suss“ genannt, eingehängt. Wagen, Rüstzeug und Kanone benötigen Zugkraft, was zwei eigens ausgebildete Kutschpferde, ihres Zeichens Kaltblüter, übernehmen. Neben Stärke ist vor allem deren ruhiges Gemüt gefragt. Schließlich ist der Geräuschpegel beim Fasnachtsumzug nicht gering, und wenn die Kanone ihren Dienst verrichtet wird‘s noch lauter. Da der Dieburger Reitverein keine Vierbeiner dieser Art besitzt, reisen die stattlichen Pferdestärken am Fastnachtsdienstag extra von einem Hof aus Niedernhausen im Fischbachtal an.

„Im nächsten Jahr wird dann doppelt gefeiert“, lässt Juri Loose durchblicken. Nach monatelangem Sägen, Bohren, Schrauben, Leimen und Lasieren wurde der neue Bagagewagen unter Einhaltung der geltenden Corona-Regeln im Dezember fertiggestellt. Das Aufsetzen des Daches und die Montage der Bremsklötze stellten die letzten großen Arbeitsschritte dar. Als Spezialanfertigung nahmen die Gebrüder Habauer in Babenhausen das Gießen der Bremsklötze in die Hand.

Mittlerweile hat sich beim Bauteam die Enttäuschung über die Absage der aktuellen Kampagne gelegt. „Extrem frustriert waren wir nie. Es ist halt nur sehr schade“, fasst Till Neumann das Gefühl in Worte, dass die Pandemie die Einführung des neuen Prunkstücks um ein ganzes Jahr hinausschiebt. Laut Pressesprecher Juri Loose möchte man das begeisternde Ergebnis der Garde nicht lange vorenthalten. „Aktuell planen wir im Vorstand ein Event, bei dem unsere Mitglieder den Neubau bestaunen können. Sobald die Gesundheitslage dies zulässt, gehen die Einladungen raus“, verspricht Loose.

Mit dem Wagen soll auch die restaurierte Standarte vorgestellt werden. Auch für sie wurde im Jubiläumsjahr eine Überarbeitung in die Wege geleitet. Durch einen Halter lässt sie sich fortan sogar direkt am Bagagewagen befestigen. Für die Prinzengarde heißt es nun warten, bis die Neuerungen ihre Feuertaufe bestehen können. Wer die Truppe kennt, weiß, dass Schwermut nicht ihr Ding ist.

So bestimmen vielmehr Optimismus und Frohsinn die Zeit bis zum nächsten Äla. „Im nächsten Jahr wird dann doppelt gefeiert“, lautet die fulminante Ankündigung, die schon jetzt einen mehrtägigen Ausnahmezustand verspricht.

Für die Nachwelt hat der Bautrupp lustige Fotos von sich tief im Inneren des Wagens platziert

Fast schon eine kleine Ingenieurleistung: Die professionelle Konstruktion soll eine Nutzung von mehreren Jahrzehnten garantieren

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